Menschen-Medizin, … denn der Mensch ist mehr als seine Laborbefunde

Sie denken sich vermutlich: Von Tiermedizin habe ich schon gehört, aber nicht von Menschenmedizin, was ist da gemeint?

Zwei Überlegungen: Wenn ein Mensch zum Arzt geht, wird er dort in der Regel weniger als Mensch  gesehen und behandelt, sondern als Patient, der ein Symptom oder eine Krankheit hat, die verschwinden  oder erträglicher werden soll. Der Arzt sieht nicht den Menschen, sondern das Symptom. Seine Therapie, sein Rezept ist am Symptom und an statistischen „Leitlinien“ orientiert, aber nicht unbedingt  am individuellen Menschen.

Ebenso weit verbreitet kommt es vor, dass wenig fassbare Symptome vorhanden sind, deswegen werden labormedizinisch bestimmte Werte überprüft: Blutbild, Hormone, Vitalstoffe, etc. Wenn dies auch nicht  falsch ist, ist es denn richtig, wenn der Arzt sich nur darum bemüht, einen Laborwert so zu behandeln, dass er „in der Norm“ liegt? Was ist denn der „Normwert“? Ist dem Menschen Genüge getan, wenn der Laborwert wieder in der Norm ist?

Was sind die Krankheitsursachen, die hinter auffälligen Laborwerten oder Symptomen zu finden sind? Natürlich sind Laborwerte, Symptome und Krankheitsdiagnosen wichtig, aber der Mensch ist mehr als  die Summe seiner Laborbefunde und Diagnosen.

„Wer um das Warum weiß, erträgt jedes Wie“, dies schrieb der Arzt Viktor E. Frankl. Anders ausgedrückt: Wer einen Lebenssinn vor Augen hat, ist wie mit einem Rettungsseil mit  dem Leben verbunden, was auch immer er an Symptomen hat oder was auch immer labormedizinisch festgestellt werden kann oder nicht.

Eine Erfahrungstatsache, die wenig Verankerung in der Medizinwelt hat, ist: Menschliche Krankheiten  haben mehr Gründe als Bananenschalen, auf der jemand ausgerutscht ist und sich das Bein gebrochen hat, auch mehr als einen Keim, der den Kranken infiziert.

Nach Theophrast von Hohenheim (Paracelsus) gibt es 5 Sphären der Wirklichkeit und des Seins, 5 Verlaufsformen der Schöpfung, die sich „aus Geist, in Liebe, im Werk, im Organismus, in Leiche“ manifestieren, wie Eugen Rosenstock-Huessy schrieb.

„Triffst Du also einen Kranken, so kann er mechanisch, organisch, absichtlich, leidenschaftlich und bestimmungsgemäß krank sein. Aus unserem Versagen auf fünf verschiedenen Ebenen, aus Ungehorsam gegen unsere Berufung, aus Lieblosigkeit, aus Trotz gegen die Logik; aus Taubheit gegen den Rhythmus des Leibes, aus Unvorsichtigkeit gegen den fallenden Stein, wird das Zeitenspektrum sozusagen negativ bestätigt. Blind, taub, trotzig, kalt, ungehorsam sind die Abwehrvorrichtungen gegen die Ansprüche, die an uns in unserer Zeit gestellt werden.“ (Rosenstock-Huessy, Eugen (2008/2009): Im Kreuz der Wirklichkeit, Bd. 2, S. 151)

Folgerichtig entwickelt Rosenstock-Huessy als gesundmachendes Gestaltungsprinzip zur Frage „Wer ist der gesunde Mensch?“. Die Antwort:

In einem toten Raum von Fremdkörpern rettet ihn sein organisches Leben. Auf einer pflanzlich wuchernden Erde von Kraut und Unkraut, Bakterien und Viren rettet ihn sein absichtsvoller Wille. In einer tierisch wildernden Welt von Tier und Untier, Plänen und Willkür rettet ihn die absichtslose unwillkürliche Liebe. Aus einem ewigen ‚gemütlichen‘ Himmel der Liebe rettet ihn das heilige Unheil, das ihm Gott in seinem Dienst entgegenruft.“ (Ebd., S. 186)