Falsches Denken in der Infektionsmedizin

,,Wir sind zu sehr auf Erreger fixiert“

Unter dieser Überschrift fand sich ein Kurzinterview mit der Ärztin und Mikrobiologin Liise-Anne Pirofski vom Albert Einstein College of Medicine in New York, die neue Strategien im Kampf gegen Infektionskrankheiten fordert.

SPIEGEL: Sie würden gern den Begriff ,,Krankheitserreger“ abschaffen. Wieso?

Pirofski: Weil er unser Denken in die falsche Richtung lenkt. Die ersten in der Medizingeschichte entdeckten Mikroben waren tatsächlich krank machend, aber heute wissen wir: Ein und derselbe Mikroorganismus kann dem einen Menschen schaden – dem anderen aber nicht. Es hängt auch vom Wirt ab, ob eine Erkrankung entsteht.

SPIEGEL: Inwiefem kann dieses falsche Denken, wie Sie sagen, den Fortschritt in der Infektionsmedizin auf halten?

Pirofski: Es geht zu oft nur darum, den Mikroorganismus mit einem Antibiotikum abzutöten oder mit einem Impfstoff zu bekämpfen. Doch gegen Tuberkulose, Malaria, Herpes und Pilzinfektionen haben wir nach wie vor keinen wirksamen Impfstoff. Vielleicht ist unser alter Ansatz ausgereizt. Der Schaden kommt nämlich nicht nur von der Mikrobe, sondern auch von der Immunantwort des Infizierten. Bei der Diphtherie etwa ist es die starke Entzündungsreaktion, die den Menschen tötet.

SPIEGEL: Was ist zu tun?

Pirofski: Wir müssen genauer erforschen, wie ein Mensch auf einen Mikroorganismus reagiert, welche Schäden dabei entstehen. So finden wir hoffentlich Therapien, mit denen wir eine zerstörerische Immunreaktion abmildern können, bis sich der Körper des Patienten von selbst erholt. Statt also zu sehr auf die Erreger fixiert zu bleiben, sollten wir besser versuchen, den infizierten Wirt zu stärken.

Aus: DER SPIEGEL 13/2015, S. 112