Orthodoxie, Orthografie und Orthorexie

Gesunde Ernährung – worauf kommt es an?

Wenn wir nach den Schlagzeilen in der Presse gehen,  gab und gibt es erbittert geführte Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich darüber was „richtig“ sein soll bei der Rechtschreibung („Wie wird das, was wir sagen, korrekt aufgeschrieben ?“). Dies gilt ebenso bei der Ernährung („Was darf ich essen, was muss ich essen, um gesund zu bleiben?“).  Der Verfall der deutschen Sprache und Kultur infolge der Rechtschreibreform wurde als apokalyptische Entwicklung prophezeit, andererseits erheitert das „Kanaken-Deutsch“ in unzähligen Comedy-Acts. Heftig wogt der medizinische Meinungskrieg darüber, welches Essen genau Menschen krank macht. Wie moderne Glaubenskriege befehden sich orthodoxe Befürworter von gegensätzlichen Richtungen wie Paleo-Diät und Veganismus, Low Carb und Fettreduktion. Bei der Rechtschreibung hat sich seit einigen Jahren ein Nebeneinander verschiedener Hausorthografie-Systeme etabliert. Kaum jemand nimmt noch Anstoß daran. Ist das vielleicht auch die Lösung in Ernährungsfragen?

Anlässlich der als Zumutung empfundenen Empfehlung, sich einmal in der Woche auf vegetarisches Essen zu beschränken (grüner Veggie-Day) ereignete sich ein tumultuöser Diskurs, infolgedessen die Grünen klein beigaben und trotz ihres Zurückruderns politisch Schiffbruch erlitten, Stimmen verloren.

Weil bislang der ärztlicher Ratschlag bei allen möglichen Erkrankungen trotz gegenteiliger Erwartungen von Patienten lautete „Sie dürfen alles essen, was sie mögen“, so wundert es mich nicht, warum das  Bestreben von Patienten, sich „richtig“ zu ernähren und es dabei vielleicht auch zu übertreiben, als   Krankheit namens „Orthorexie“ definiert wurde. Wenn dies auch nur 1-2 % der Bevölkerung betrifft, ist damit doch ein Kampfbegriff geschaffen, der gegen Empfehlungen zur „gesunden Ernährung“ verwendet  wird, vor allem gegen Ansichten, die philosophisch oder ideologisch bestimmt sind.

So ergibt sich der Eindruck: Da es anscheinend kein krankhaftes Verhalten ist, alles zu essen, was einem schmeckt, muss es doch krankhaft sein, wenn jemand nicht das isst, was ihm schmeckt, sondern nur das, was er sich erlaubt.

Dass eine übermäßig von tierischen Produkten dominierte Ernährung nicht optimal für die Gesundheit ist, ist seit Jahrzehnten medizinisches Alltagswissen und ein journalistischer Allgemeinplatz.

Insofern wundert mich die Heftigkeit, mit der manche sich nicht in ihre Ess-Entscheidungen hineinreden lassen wollen. Denn im Krankheitsfall erwarten sie meist, dass „der Doktor“ sie wieder ohne ihr eigenes Zutun gesundmachen soll. Die Weisheit „Ein Gramm Vorbeugung nutzt mehr als ein Pfund Behandlung“ stößt da oft auf taube Ohren.

Wenn kranke Menschen darauf achten, das zu essen, was sie glauben oder wissen zu vertragen und dass andere nicht, ist dies erst mal nur ein Zeichen von Einsicht und Selbstverantwortung. Wenn manche Menschen damit übertreiben und peinlich bestrebt sind, ja nicht das Falsche zu essen, und Mediziner dies als „Orthorexie“ bezeichnen, ist dies fragwürdig. Das Bemühen um nicht selbstschädigendes Verhalten wird damit in die Nähe von pathologischen Verhaltensweisen gerückt, wie der Bulämie (unstillbarer Drang, viel zu essen und evtl. zusätzlich zu kotzen um noch mehr essen zu können) und der Anorexie (Magersucht, der Sucht möglichst nichts zu essen).

Warum soll es egal sein, was wir essen, wenn es nicht egal ist, was wir schreiben?

Die Wahrheit ist, dass es nicht die Ernährungsform gibt, die für jeden geeignet und die bestmögliche ist. Manche Menschen kommen mit einer proteinbetonten Ernährungsweise besser zurecht, andere mit einer kohlehydratreichen. Manche müssen auf die optimale Mischung aus beidem achten. Wem hat es geschadet, auf mit Pestiziden belastetes Essen zu verzichten? – Alles spricht für ökologische Anbaumethoden. Noch sind es nur 5 % der Böden, die hier so bewirtschaftet werden.

Menschenrechte sind unteilbar und gelten zumindest theoretisch ohne Unterschied für  jeden. Die richtige Ernährung zu finden ist  ein Selbsterkenntnisprozess, der nur individuell glücken oder scheitern kann. Denn manche wollen sich  gar nicht selbst finden, sondern suchen ihr Glück in der Anpassung. Da aber gilt der Ausspruch von Dr. Max Otto Bruker: „Wer isst, was alle essen, wird so krank wie alle es werden.“

Und ansonsten sollte man nicht vergessen, dass es auch umweltbedingte, lebensbedingte und konstitutionelle Krankheiten gibt. Gute Ernährung ist nicht alles, sondern nur ein Teil dessen, was Sie für Ihre Gesundheit beachten können und sollen. Diesen Vorteil sollten Sie nutzen. Zur Vorbeugung gegen echt schicksalhafte Krankheiten können Sie schließlich wenig tun. Ihre Ernährung wird nur dann Ihr Schicksal sein, wenn Sie essen ohne zu denken.