Veganismus – käufliche Ware oder kämpferische Bewegung?

Wer vegan lebt, kommt um eine Auseinandersetzung mit der Essenskultur in unserer Gesellschaft nicht herum, auch wenn er  gar nicht will. Wann ist vegan sein mehr  als  nur  eine schwache Beruhigung fürs eigene Gewissen?

Die Globalisierungskritikerin Naomi Klein äußerte die Auffassung, bis 2017 sei noch Zeit, in der Klimafrage Weichen zu stellen. Das war  schon vor Trumps Klimawandellüge so gut wie nichts, und jetzt?

72% des ökologischen Fußabdrucks der Nahrungsmittelproduktion sind durch den Fleischkonsum verursacht. Wer das nicht sehen will, dem ist auch egal, was auf seinem Teller ist. Wer Veganes  auf  seinen Teller lädt, äußert indirekt  Kritik an allen, die es nicht machen.

Dennoch  hat  Mira  Landwehr  recht:

“Die einer universellen Solidarität verpflichteten Tierrechtsaktivisten und Tierbefreier  unter den Veganern haben es schwer. Sie finden vergleichsweise wenig Gehör und kämpfen an zwei Fronten gleichzeitig: gegen das System von der auf Ausbeutung und Gewalt basierenden Profitmaximierung auf der einen und die Instrumentalisierung ihrer Forderungen auf der anderen Seite.

Christian Adam vom Münsteraner Verein Tierretter.de  findet “es immens wichtig, dass Faschos, Rechten, Rechtspopulisten, Antisemiten, besorgten Bürgern … in der Bewegung kein Platz geboten wird. Tierrechte funktionieren nur mit Menschenrechten. Wie können wir Respekt und Gleichberechtigung für Tiere fordern und gleichzeitig Menschen aufgrund von Religion, Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Identität herabwürdigen?”

Wenn Veganismus zur Ware wird, verliert er jegliche politische Brisanz; vom System geschluckt und wieder ausgespien als das unerfüllte Versprechen, sich eine bessere, faire, tierleidfreie Welt einfach kaufen zu können. Gerechtigkeit lässt sich aber nicht kaufen, sie muss erkämpft werden. Befreiung wird kaum beim Tier beginnen, aber sie darf auch nicht beim Menschen enden. Und wird Veganismus nicht als Teil einer emanzipatorischen Bewegung verstanden, die alle Ausprägungen von Diskriminierung und Unterdrückung ablehnt, ist er keinen Pfifferling wert.” (aus: Mira Landwehr: Kann Spuren von Empathie  enthalten. Veganer sind für alles offen: Allianzen mit Fleischgroßhändlern, Esoterik, Verschwörungstheorien und Querfronten. Der Tierschutzgedanke bleibt dabei auf der Strecke.  In: Konkret, 2/17, S. 50 -52)

Jörn Kabisch hatte  vor einiger Zeit (im Freitag am 2.4.15) die “hypertrophe Beschäftigung mit dem Thema Nahrung” kritisiert und konstatiert, dass wir in einer “Zeit der totalen Nahrungsverunsicherung” lebten:

“Das Essen ist zum Feld der Sinnstiftung geworden, egal ob Gesundheit, Moral, Identität oder Weltverbesserung. Und niemand schreit Halt, wenn Hysteriker, Radikale, Ideologen und Quacksalber die Löffel von Hand in Hand reichen.”

Die Fremdbestimmung, die in Gestalt der global agierenden Nahrungsmittelindustrie die konsumierenden Individuen und die Moden dominiert, war  dabei gar nicht  thematisiert worden, dafür jedoch “ein Plädoyer für den Bauch”  abgegeben , weil es heute  “heute nötiger denn je [sei]. Mehr Bauch, weniger Kopf, mehr Sinnlichkeit, weniger Askese. Essen macht Spaß, ist keine Sünde, genauso wenig wie bloße Ernährung”.

Wie jemand  dazu kommen kann, zu konstatieren, dass Essen keine Sünde sei, ist für mich schwer nachvollziehbar. Mit Bert Brecht gesprochen:

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt
Bin ich verloren.)

Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.”

Was jemand  beim Essen ethisch verantworten will, muss in dieser  apokalyptischen Zeit jeder für sich entscheiden. Den von Brecht  formulierten Zwiespalt gilt  es  aber  zu gestalten, aus dem Geist  eines solidarischen, zukunftsbewussten Handelns, das  sich der Endlichkeit der Ressourcen dieses Planeten  wie auch der Grenzenlosigkeit  der  kollektiven Dummheit der Gattung Mensch und der Geldgier der herrschenden  Milliardärsclique (die 1 Promille und  nicht  die  1 Prozent)  stellt,  statt alles mit Gleichgültigkeit geschehen zu lassen.

Orthodoxie, Orthografie und Orthorexie

Gesunde Ernährung – worauf kommt es an?

Wenn wir nach den Schlagzeilen in der Presse gehen,  gab und gibt es erbittert geführte Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich darüber was „richtig“ sein soll bei der Rechtschreibung („Wie wird das, was wir sagen, korrekt aufgeschrieben ?“). Dies gilt ebenso bei der Ernährung („Was darf ich essen, was muss ich essen, um gesund zu bleiben?“).  Der Verfall der deutschen Sprache und Kultur infolge der Rechtschreibreform wurde als apokalyptische Entwicklung prophezeit, andererseits erheitert das „Kanaken-Deutsch“ in unzähligen Comedy-Acts. Heftig wogt der medizinische Meinungskrieg darüber, welches Essen genau Menschen krank macht. Wie moderne Glaubenskriege befehden sich orthodoxe Befürworter von gegensätzlichen Richtungen wie Paleo-Diät und Veganismus, Low Carb und Fettreduktion. Bei der Rechtschreibung hat sich seit einigen Jahren ein Nebeneinander verschiedener Hausorthografie-Systeme etabliert. Kaum jemand nimmt noch Anstoß daran. Ist das vielleicht auch die Lösung in Ernährungsfragen? Weiterlesen