Vitamin C und Zucker: Ernährungsfehler und -empfehlungen

Leseprobe aus dem Buch “Zuckerblues” von William Dufty:

“Dr. Willis schreibt dort: “Alles, was mit Zucker haltbar gemacht oder stark gewürzt ist, mißbillige ich aufs äußerste. . . . Ich gehe davon aus, daß die Einführung des Zuckers und sein übermäßiger Gebrauch in der letzten Zeit sehr zu der starken Verbreitung des Skorbut beigetragen haben.” ( Diatriba de Medicamentorum Operationibus in Humano Corpore /Schmähschrift gegen die Auswirkungen der Arzneien auf den menschlichen Körper).

Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die Warnung des ehrwürdigen Dr. Willis irgendwo auf fruchtbaren Boden fiel.

Dabei war die Royal Navy nach wie vor schwer vom Skorbut angeschlagen; die Zahl der Opfer ging in die Tausende. So verließ etwa ein gewisser Commodore Anson im Jahr 1740 England mit sechs Schiffen  und 1500 Matrosen. Vier Jahre später kehrte er mit einem Schiff und 335 Männern zurück.

Diese Katastrophe regte James Lind um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zu einem der ersten kontrollierten Experimente an, die uns auf dem Gebiet der Emährungswissenschaft bekannt sind. Schon früher hatte Lind als Schiffsarzt auf der H.M. S. Salisbury selbst miterlebt, wie die Seeleute reihenweise an Skorbut erkrankten, und begann nun nach einer Möglichkeit der Vorbeugung zu suchen.  Zu diesem Zweck beobachtete er auf einer Fahrt der Salisbury zwölf Skorbutopfer, die er in sechs Gruppen zu je zwei Mann eingeteilt  hatte. Alle  erhielten die normalen Rationen der Royal Navy:

  • Mit  Zucker  gesüßte Wassersuppe  am Morgen
  • des Mittags  meist frische Hammelfleischbrühe;
  • dazu Grützen, gezuckerten Brei aus  gekochtem Zwieback (vermutlich gezuckerte Marmelade)
  • zum Abendbrot Gerste, Reis und Korinthen, Sago, Rosinen und Wein

(Nur) die beiden Männer der sechsten Gruppe erhielten jeden Tag zwei Orangen und eine Zitrone.

“Diese aßen sie gierig”, notierte Lind, “und mit unmittelbarer und sichtbar guter Wirkung.”

Einer dieser beiden Matrosen war schon nach sechs Tagen wieder einsatzbereit. Der andere fühlte sich schnell so gut, daß er bei der Pflege der übrigen Männer mithelfen konnte. (…)

James Lind berichtete der britischen Admiralität pflichtgemäß von seiner Entdeckung, doch das britische Diseasestablishment konnte nicht zugeben, daß eine Unausgewogenheit in den Rationen der Roval Navy den Skorbut verursachte.  Also sorgte die britische Admiralität dafür, daß ihre Seeleute weitere fünfzig Jahre lang an Skorbut erkranken sollten.  (…)

1755 veröffentlichte Lind eine Abhandlung über den Skorbut.  Die Beharrlichkeit, mit der die Royal Navy trotz allem an ihrer hergebrachten Verpflegung festhielt, sollte in den folgenden fünfzig Jahren noch schätzungsweise weiteren 100000 Menschen das Leben kosten. 1794 starb Lind. Ein Jahr später (…)  kam es endlich zu einer Kehrtwende. Was bislang offiziell als Unsinn gegolten hatte, wurde nun offiziell angeordnet: Jeder britische Seemann erhielt ab sofort mit seiner täglichen Rumration eine Ration Zitronensaft.

(…)

Aber in anderen Verwaltungsabteilungen des Britischen Empire war man noch weitaus langsamer: das Handelsministerium etwa, dem die Handelsmarine unterstand, widersetzte sich den Maßnahmen zur Heilung des Skorbut noch gut hundert Jahre. So ist aus Aufzeichnungen ersichtlich, daß Skorbut ironischerweise nicht selten – und meist mit tödlichen Folgen – auf Schiffen der Handelsmarine ausbrach, die mit einer Ladung Zitronen zur Versorgung der Royal Navy unterwegs waren.

Auf der anderen Seite des Atlantiks standen die Dinge nicht besser:  Es mußten noch weitere 50 Jahre vergehen, bis die US-Army dem britischen Beispiel folgte. Auch sie hatte am Ende begriffen, was jeder indianische Medizinmann schon lange wußte . Die Indianer im Yukon-Gebiet haben sich dagegen jahrhundertelang aus den Nebennierendrüsen der Elche und Grizzlybären mit Ascorbinsäure – mit Vitamin C – versorgt.’

Und was  wissen wir heute?

Angenommen, Sie sind gesund  und  wollen zur Vorbeugung etwas tun.  Sie essen  30 Gramm Zucker (Achtung versteckte  Zuckeranteile!)  am Tag, dann müssten Sie im Zeitraum von 10 Stunden 10 x 1 Gramm Vitamin C (z.B. Ascorbinsäure) schlucken oder  ein dosisäquivalentes Retard-Präparat, um diesen negativen  Effekt  auszugleichen.  Rechnen sie mal nach, welche Bilanz bei Ihnen besteht.

Vielleicht kommen Sie zu dem Schluß, dass es besser ist, den Zucker  weitgehend  wegzulassen.