Inlay, Teilkrone oder Vollkrone – das Notwendige unsichtbar machen?
„Schönheit ist schon da, wenn das Notwendige getan ist; Vollkommenheit, wenn das Notwendige unsichtbar ist“, schrieb vor ca. 200 Jahren Johann Wolfgang von Goethe. Bei der Wiederherstellung von Zähnen ist individuell abzuwägen, welche Notwendigkeiten die Zahnersatzversorgung zu erfüllen hat, und inwiefern es empfehlenswert ist, sie unsichtbar zu machen.
Denn nicht alles, was technisch machbar ist, ist langfristig geeignet, den Zahnverlust zu verhindern. Als Faustregel kann man formulieren: Je mehr ästhetische Vollkommenheit, umso größer ist das Risiko eines Scheiterns an der Notwendigkeit, auch „harte Bissen“ zu kauen. Die Überkronung von Zähnen mittels Goldlegierungen bzw. Metallkeramik hat Haltbarkeitsfristen von über zehn Jahren (zu 90%) bzw. 15 Jahren (80% der untersuchten Kronen) ermöglicht. Im Einzelfall waren solche Kronen über 40 Jahre im Mund. Die Haltbarkeit wird durch zwei Faktoren begrenzt: Je weniger Zahnsubstanz ein überkronter Zahn hat, umso größer die Gefahr eines Bruchs bzw. der Zahnnerventzündung. Zahnersatz auf toten Zähnen (Stiftkronen) ist statisch weniger belastbar als auf gesunden Zähnen, wie die Nachuntersuchungen zeigen.
Aus einer ökologisch orientierten Ökonomie hat sich die zentrale Forderung nach „Nachhaltigkeit“ etabliert. Jeder Bauer wusste das eigentlich immer schon: Man sollte die Milchkuh nicht schlachten, wenn man sie weiter melken will. In die Zahnmedizin übertragen bedeutet dies: Wer mit eigenen Zähnen möglichst lange kauen will, sollte Einflüsse und Behandlungen vermeiden, die die Zahnsubstanz vorzeitig aufbrauchen: Wer der Ästhetik zu viel Zahnsubstanz opfert, hat langfristig weniger Zähne zum Kauen. Es ist im Einzelfall individuell für jeden Zahn festzulegen, ob Ästhetik oder Zahnstabilität vorrangig verwirklicht werden sollen, ob nach Goethe das „Notwendige“ oder die „Vollkommenheit“ angestrebt werden soll.
Will man die natürlichen Zähne möglichst lange zu erhalten, ist der Gesichtspunkt vorrangig zu beachten, möglichst wenig Schaden bei der Behandlung zuzufügen. Das bedeutet: Ein sog. „minimalinvasives“ Beschleifen empfehlenswert. Dies ist nur machbar, wenn es materialtechnisch ohne Einbußen an Stabilität möglich ist, zudem auch nur, wenn keine kosmetischen Probleme entstehen.
Ansonsten würden die künstlichen Zähne wesentlich „dicker“, wenn man das Prinzip „minimalinvasives Schleifen“ mit dem Prinzip „nur zahnfarbener Zahnersatz“ kombinieren wollte. Mit Goethes Worten: Die Unsichtbarkeit des Notwendigen, d.h. kosmetische Vollkommenheit hat einen schwächenden Einfluss auf die Stabilität. Die Sichtbarkeit des Notwendigen hat einen schwächenden Einfluss auf die Vollkommenheit, die kosmetische Unsichtbarkeit.
In nüchternen Zahlen: Die Präparation für eine Metallkrone erfordert ca. 0,51mm Mindestschichtstärke. Die Präparation für eine Verblendkrone erfordert ca. 1,5mm Platz. Die Präparation für eine metallkeramisch verblendete oder vollkeramische Vollkrone erfordert bis zu 2mm Platz. Goldinlays brauchen ca. 0,5-1,5mm, Keramikinlays brauchen 2-3mm Platzangebot. Onlays sind Inlays, die teilweise noch Höckersubstanz schützen, aber keine Höckerspitzen bedecken. Overlays sind Onlays, die zumindest einen Höcker komplett abdecken. Teilkronen sind Overlays, die alle Höcker eines Zahnes abdecken („fassen“), aber zur Zunge oder Wange hin wird der Zahn nur im Bereich der Höckerspitze (ca. 0,5mm) beschliffen. Galvanokronen haben eine Basis aus galvanisch hergestelltem Reingold, auf der in Keramik der restliche Zahn aufgebaut wird und brauchen wie Vollkeramikkronen 2-3mm Schichtstärke. Da Zähne unter Umständen im Zahnhalsbereich nur einen Durchmesser von 5-7 Millimetern haben, ist sorgfältig zu überlegen, wie viel Zahnsubstanz entfernt werden kann. Grundsätzlich bedeutet eine Vollüberkronung, dass bis zu 70% des ursprünglichen Kronenvolumens aus statischen / konstruktionsbedingten Gründen durch Zahntechnik ersetzt werden muss. Wird diese Marke überschritten, ist schnell ein Zahn in einen Zustand versetzt, wo eine erneute Überkronung nur nach Entfernung des Zahnnerven und Stiftaufbau des toten Zahnes möglich wird. Da tote Zähne das Immunsystem belasten und mitunter nur einige Jahre ohne Probleme im Mund bleiben können, sollte dieser Zustand tunlichst vermieden werden – Vorbeugung fängt beim Beschleifen an.
Besondere Bedingungen gelten, wenn Zähne mittels Brücken ersetzt werden sollen. Als Brückenanker eignen sich grundsätzlich mittlerweile sowohl Metall- als auch Keremikinlays bzw. -kronen. Eine individuelle genaue Planung ist jedoch notwendig, um die im Einzelfall gewünschten Anforderungen erfüllen zu können.
Pressen bzw. Knirschen mit Abnutzung (Abrasion, Attrition, Bruxismus) der Zähne ist ein Hinweis, dass eine kosmetische Lösung untauglich für einen langfristigen Alltagsgebrauch sein könnte. Jede Keramik ist im Prinzip bruchempfindlich. In solchen Fällen ist es oft empfehlenswert, die Hauptkontaktzonen (einige Quadratmillimeter) in Metall zu gestalten, um nicht vollständig auf eine Verblendung zu verzichten. Im Oberkiefer ist dies in der Regel ohne nennenswerte ästhetische Einbußen möglich, im Unterkiefer nicht immer.
Bei extremer Kaubelastung (gut ausgebildete Muskulatur) ist es oft empfehlenswert, Materialien zu kombinieren und z.B. im Unterkiefer aus kosmetischen Gründen keramische Verblendungen zu planen, jedoch im Oberkiefer die Kau- bzw. Funktionsflächen komplett in Metall zu gestalten. Dies hat den Zweck, das Kiefergelenk zu entlasten – der Kontakt von Keramik auf Keramik ist unphysiologisch, wenn die Materialien härter als der Zahnschmelz sind.
Bei starkem Zähneknirschen hat es sich bei Inlays bewährt, Goldlegierungen zu verwenden. Wenn kosmetische Belange zu berücksichtigen sind, empfiehlt sich für die Inlay-Herstellung im Dentallabor die Verwendung spezieller hochfester Composit-Materialien (optimal z.B. Diamond Crown von der Fa. DRM), die im Gegensatz zur Keramik eine Elastizität aufweisen und so weniger bruchanfällig sind.
Mittlerweile gibt es Keramikmaterialien, die nach Angaben der Hersteller auch für Fälle von Bruxismus geeignet sind. Da Langzeituntersuchungen über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren wegen der erst kürzlich erfolgten Markteinführung fehlen, ist es im Zweifelsfall zu empfehlen, bei den bewährten Konstruktionsprinzipien zu bleiben, oder aber ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen. Als Sonderfall kann ein Patient mit Elektrosesibilität gelten: Hier ist meist eine metallfreie Versorgung die sicherste Lösung.
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