Homöopathie: Suhrkamp Verlag im argumentativen Tiefflug mit G’schmäckle

Eine Rezension von Dr. med. Michael Teut, Dr. med. Christian Lucae, Dr. med. Matthias Wischner, Jörn Dahler

Mit  der  Veröffentlichung „Der Glaube an die Globuli. Die Verheißungen der Homöopathie” ( Hrsg. von Norbert Schmacke. suhrkamp medizinhuman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015) wird dem Leser suggeriert, dass Homöopathen „Alternativmediziner“ sind, die glauben, schwere Krankheiten allein durch Homöopathie heilen zu können.

Dabei sei die Homöopathie erwiesenermaßen eine Placebotherapie, für die es keine wissenschaftlichen Belege gäbe.

Homöopathen würden sich der Evaluation durch die evidenzbasierte Medizin entziehen, da sie davon überzeugt seien, dass der randomisierte kontrollierte Doppelblindversuch nicht zur Erfassung der Wirksamkeit der Homöopathie geeignet sei.

Außerdem würden Homöopathen einen autoritär-paternalistischen Stil der Kommunikation ausüben, da sie ihre Patienten nicht über die Placebofunktion ihrer Medikamente aufklärten.

Der von den Autoren verortete Skandal bestände darin, dass diese Glaubensmedizin, ebenso wie die Anthroposophische Medizin, durch den Rechtsstatus als „Besondere Therapierichtungen“ geschützt sei und ihre Wirksamkeit daher nicht belegen müsste.

Die Autoren empfehlen als Rezept für eine bessere Medizin mehr partizipative Entscheidungsfindung und eine noch stärkere Evidenzbasierung der Medizin.

Die Zielsetzung dieser Schrift erschließt sich vor allem durch jene Inhalte, die die Autoren ausgelassen haben.

Es sei an dieser Stelle daher erlaubt, der polarisierenden Perspektive dieses Buches einige sachliche Argumente entgegen zu setzen:
1. Homöopathische Ärzte sind Komplementärmediziner
Der allergrößte Anteil der knapp 10.000 Ärzte in Deutschland, die eine homöopathische Zusatzqualifikation haben, sind niedergelassene Haus- oder Fachärzte mit einem Kassensitz. Sie üben Homöopathie als eine zusätzliche Therapiemethode aus, die ihre konventionelle („schulmedizinische“) Therapie ergänzt. Ein Blick in das Arztverzeichnis auf der Homepage des DZVhÄ hätte genügt, um sich hiervon zu überzeugen. Den Typus des „Alternativmediziners“, der in seiner irrational-mythischen Glaubensüberzeugung nur Homöopathie und keine konventionelle Medizin betreibt, wie er hier von den Autoren Uwe Heyll und Norbert Schmacke geschildert wird, gibt es in dieser stark überspitzten Form allenfalls ausnahmsweise. Die meisten homöopathischen Ärzte versorgen ihre Patienten auch schulmedizinisch und wägen den Einsatz von Homöopathie und Schulmedizin sorgfältig gegeneinander ab.

2. Homöopathische Behandlungsindikationen sind chronische Erkrankungen wie allergische Rhinitis und Neurodermitis
Homöopathische Behandlungsindikationen sind in der übergroßen Mehrheit ambulant behandelte chronische Erkrankungen, bei denen die konventionelle Behandlung als defizitär oder als zu nebenwirkungsreich empfunden wird. Dies sind vor allem allergische Rhinitis, Kopfschmerzen und Neurodermitis (vgl. hierzu eine Kohortenstudie mit 3981 Patienten: http://www.biomedcentral.com/1471-2458/5/115). Schlaganfälle oder Krebserkrankungen stellen eher Ausnahmen dar. Bei diesen schweren Erkrankungen erfolgt eine homöopathische Behandlung, falls sie überhaupt erfolgt, sekundär zur konventionellen, z.B. um Nebenwirkungen zu mildern oder die Lebensqualität zu verbessern.

3. Die Evidenz
Eine Überraschung an diesem Buch ist die Tatsache, dass die Evidenz für die Behauptung, dass homöopathische Arzneimittel Placebos sind, gar nicht auf der Basis von wissenschaftlichen Daten aus Studien dargestellt und diskutiert wird. Die Autoren verzichten auf eine entsprechende Darstellung und Diskussion und verweisen unter anderem darauf, dass dies ja schon in dem Buch „Die Homöopathie-Lüge: So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen“ dargestellt und in einem australischen HTA aufgearbeitet sei. Dass die Autoren (als Wissenschaftler) hier auf eine populistische Streitschrift als wissenschaftlich umfassende Referenz verweisen, ist ungewöhnlich. Zumal dem Autoren Norbert Schmacke Forschungsdaten der Homöopathie bekannt sind: In einer Studie zur Homöopathie von 2010, die er hauptverantwortlich publizierte, schreiben Schmacke et al.:
„Für einige wenige Erkrankungen konnten Wirksamkeitsnachweise erbracht werden: Nach dem derzeitigen Stand der Forschung liegt für die Indikationen Heuschnupfen, Durchfall bei Kindern, Weichteilrheuma, Darmlähmung nach Operation und Atemwegsinfektionen ein Wirksamkeitsnachweis vor.“ (Stamer M, Müller VE, Berger B, Schmacke N. Perspektiven von Patientinnen und Patienten auf ihre Versorgung durch homöopathisch tätige Ärzte und Ärztinnen – Eine qualitative Studie. Abschlussbericht. Bremen 2010. S.12. Abgerufen am 13.11.2015, unter: http://www.akg.uni-bremen.de/pages/arbeitspapierBeschreibung.php%3FID=28&SPRACHE=DE.html).

Wie passt dieses Zitat von 2010 nun zu der Aussage des Autors, dass es überhaupt keine Belege für eine Wirksamkeit der Homöopathie gibt?
Auch nennen Schmacke et al. nicht einmal die fünf bisher publizierten umfassenden Metaanalysen zur Homöopathie (von denen vier Metaanalysen ein statistisch positives Ergebnis zu Gunsten der Homöopathie erbrachten, auch wenn diese, wie zu erwarten, wegen fehlender Plausibilität kritisch diskutiert werden).
Dass Homöopathen Wirksamkeitsevaluationen und klinische Forschung nicht ablehnend, sondern sogar befürwortend gegenüberstehen, verdeutlicht die Tatsache, dass zum Zeitpunkt November 2015 auf der weltweit umfangreichsten Datenbank zur Homöopathie CORE-Hom bereits 1117 klinische Studien zur Homöopathie erfasst sind. Die meisten davon wurden von homöopathischen Ärzten durchgeführt. Schmacke et al. hätten sich hier umfassend und kostenfrei mit der primären Datenlage auseinandersetzen können. Auch die Gründung der Homöopathie-Stiftung und der WissHom (Wissenschaftliche Gesellschaft für Homöopathie) sind in diesem Kontext als Zeichen der fortschreitenden wissenschaftlichen Professionalisierung der homöopathischen Ärzte zu deuten. Homöopathen sind sicher nicht als forschungsfeindlich zu betrachten.

4. Die Placebo-Hypothese
Die nach wie vor umfassendste Metaanalyse von Linde et al. 1997 konstatierte zur Vermutung, dass die homöopathische Arzneitherapie eine Placebotherapie sei:
„The results of our meta-analysis are not compatible with the hypothesis that the clinical effects of homeopathy are completely due to placebo.“ (http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2897%2902293-9/abstract).
Diese Schlussfolgerung ist auch heute noch gültig, wie der schwedische Wissenschaftler Hahn 2013 in einem Review berichtet (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24200828).
Selbstverständlich spielt der Placeboeffekt auch in der klinischen Homöopathie eine Rolle. Eine neuere Metaanalyse von 2014 zur klassischen individualisierenden Einzelmittel-Homöopathie kommt jedoch auch hier zur Schlussfolgerung:
„Medicines prescribed in individualised homeopathy may have small, specific treatment effects.“ (http://www.systematicreviewsjournal.com/content/3/1/142). Auch wenn Schmacke et al. diese Daten vermutlich für nicht plausibel halten – zur wissenschaftlichen Redlichkeit gehört auch, sich mit konträren Positionen und Daten auseinanderzusetzen. Hiervon erfährt der Leser jedoch nichts.

5. Arzt-Patienten-Kommunikation
Schmacke attestiert den Homöopathen, sich ihren Patienten gegenüber autoritär-paternalistisch zu verhalten. Der gleiche Autor Schmacke beschreibt in seiner eigenen Forschungsarbeit von 2010 dagegen auch entgegengesetzte und positive Aspekte des homöopathischen Therapiesettings, durchaus auch im Sinne einer partizipativen Entscheidungsfindung (Stamer M, Müller VE, Berger B, Schmacke N. Perspektiven von Patientinnen und Patienten auf ihre Versorgung durch homöopathisch tätige Ärzte und Ärztinnen – Eine qualitative Studie. Abschlussbericht. Bremen 2010. Abgerufen am 13.11.2015 unter: http://www.akg.uni-bremen.de/pages/arbeitspapierBeschreibung.php%3FID=28&SPRACHE=DE.html):
„Basierend auf schulmedizinisch orientierten diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen suchen Patienten und Patientinnen Beratungsmöglichkeiten – verstanden im Sinne einer ärztlichen Entscheidungsbegleitung – im Kontext homöopathisch-ärztlicher Versorgung auf. Dabei wird beispielsweise erörtert, wie bisherige Perspektiven durch Einholung ergänzender Informationen erweitert werden können, um auf diesem Wege die Auseinandersetzung mit der Entscheidungsgestaltung zu befördern. Die Herangehensweise offenbart den Patienten und Patientinnen die Gelegenheit aktiver Mitgestaltung ihrer Versorgungssituation. Werden sie selbst aktiv und suchen das Gespräch mit ihren homöopathisch tätigen Ärzten/Ärztinnen, kann sich mittels dieser Aktivität ein Gefühl der Handlungsautonomie entlang individuell gestalteter Verknüpfung von Schulmedizin und ärztlicher Homöopathie entfalten.“ (S.124-125)
„Durch den Kontakt mit homöopathischen Herangehensweisen wurden bei den InterviewpartnerInnen einige Veränderungsprozesse in Gang gesetzt. So wird z.B. von einer größeren Gelassenheit im Umgang mit Erkrankungen gesprochen oder davon, dass das Vertrauen in die eigene Einschätzung gestiegen ist. Die homöopathische Behandlung und/oder die jeweilige homöopathische ÄrztIn haben dazu beigetragen, dass Krankheitsängste reduziert wurden. Dabei erscheint quasi das gesamte homöopathische Setting entdramatisierend: eine Wohnzimmeratmosphäre im Wartezimmer, das Anbieten von Getränken oder eine persönliche Begrüßung vermitteln, dass PatientInnen sich hier in einer Alltags- und nicht in einer Ausnahmesituation befinden. Auch die vorsichtige Annäherung an die Krankheitsdiagnose und eine Vorgehensweise, die erst einmal von einer nicht bedrohlichen Erkrankung ausgeht, tragen dazu bei, Ängste zu reduzieren und das Vertrauen darauf, dass der Körper eigenständig mit einer Erkrankung fertig wird, zu bilden oder zu vergrößern. Die Ermunterung zur Selbstbehandlung und die Unterstützung dabei durch die ÄrztInnen wurden als Zuwachs von Autonomie und Selbständigkeit erlebt.“ (S. 118-119)
Schmackes Forschungsergebnisse von 2010 stehen auffällig im Gegensatz zu den Aussagen im aktuellen Buch. Warum verschweigt der Autor seine eigenen Studienergebnisse an dieser Stelle?

6. Besondere Therapierichtungen
Schmacke kritisiert, dass für komplementäre Therapien der juristische Schutz der „Besonderen Therapierichtungen“ besteht. Dabei geht er nicht darauf ein, dass für traditionelle und komplementäre Therapien bei Einführung des Gesetzes andere Grundvoraussetzungen vorlagen als für die Einführung neuer Arzneimittel in den Markt. Während eine neue Arznei vor Markteinführung umfassend auf Nutzen und Risiken überprüft werden muss, werden komplementäre und traditionelle Therapien eben schon seit langem angewendet und von der Bevölkerung genutzt. So ergeben sich vollständig andere wissenschaftlichen Evaluationsmodelle und -abfolgen, wie ein Artikel von Claudia Witt im Deutschen Ärzteblatt aufzeigt (http://www.aerzteblatt.de/treffer?s=komplement%E4rmedizin&s=willich&wo=17&typ=16&aid=65947):
„Komplementärmedizinische Therapiesysteme werden oft schon seit Jahrhunderten angewendet und waren schon verfügbar, bevor die heutigen Standards klinischer Forschung entwickelt wurden. Zusätzlich fehlen systematische Daten über die aktuellen Versorgungsstrukturen – das schließt das Diagnose- und Therapiespektrum ein. Anders folgt die Entwicklung eines neuen Medikaments in der konventionellen Medizin in systematisch aufeinander aufbauenden Phasen. Eine Überlegenheit über Placebo ist zu belegen, bevor ein Vergleich zur Standardtherapie oder gar Versorgungsforschung durchgeführt werden kann. Aufgrund der historischen Entwicklung wird für die Komplementärmedizin eine umgekehrte Forschungsfolge als sinnvoll erachtet.“
Die komplementären Methoden sollten aus pragmatischer Sicht zunächst ihre Sicherheit belegen und dann erst ihren Nutzen. Genau dies erfolgt aber seit etwa 25 Jahren in zunehmendem Maße in der Komplementärmedizin und eben auch in der Homöopathie, was sich mit der wissenschaftlichen Forschungsliteratur zur Homöopathie durch eine Pubmed Recherche oder die Suche in der CORE-Hom Datenbank gut nachvollziehen lässt.

Fazit
Das Buch polarisiert bewusst und ist als Streitschrift zu verstehen, die sich – am Beispiel der Homöopathie und Anthroposophischen Medizin – gegen die Sonderstellung der „Besonderen Therapierichtungen“ richtet. Beispiele für unsachliche Argumentation: Den Typus des „Alternativmediziners“, der in seiner irrational-mythischen Glaubensüberzeugung nur Homöopathie und keine konventionelle Medizin betreibt, wie er von den Autoren geschildert wird, gibt es in dieser stark überspitzten Form nur ausnahmsweise. Die meisten homöopathischen Ärzte arbeiten dagegen komplementär zur konventionellen Medizin. Hauptindikationen der homöopathischen Behandlung sind (nach Studienlage) allergische Rhinitis, Kopfschmerzen und Neurodermitis, nicht jedoch Schlaganfälle und Krebserkrankungen, wie von den Autoren suggeriert wird. Die Evidenz für die Behauptung, dass homöopathische Arzneimittel Placebos sind, wird in dem Buch nicht auf der Basis von wissenschaftlichen Daten aus Studien dargestellt und diskutiert. Norbert Schmacke berichtet auch nicht seine eigenen Forschungsergebnisse von 2010, die seiner nun geäußerten Behauptung, Homöopathen pflegten einen autoritär-paternalistischen Kommunikationsstil, entgegenstehen.

Eine Versachlichung im Sinne eines wissenschaftlichen Diskurses liegt somit offensichtlich nicht in der Zielsetzung dieses Buches, wäre für zukünftige Diskussionen jedoch wünschenswert.

Quelle: http://www.homoeopathie-online.info/der-glaube-an-die-globuli-eine-kritische-rezension/